Ralf Stegner, 65, ist seit 2021 Mitglied des Bundestags. Der Sozialdemokrat war zuvor Finanz- und Innenminister von Schleswig-Holstein sowie bis 2019 einer der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden.

POLITICO: Herr Stegner, kommt die Wehrpflicht?

Ralf Stegner: Ich vermute, auf Dauer ja.

POLITICO: Und wie wollen Sie das dann regeln? Einfach das, was ausgesetzt ist, wieder einführen?

Stegner: Nein, so geht das ja nicht. Ist auch nicht richtig mit der Begründung. Eigentlich müssten wir die Freiwilligendienste attraktiver machen, das wäre vernünftig. Und eigentlich müssten alle Generationen betroffen sein. Und Wehrpflicht geht sowieso nur, wenn auch Ersatzdienste und Verweigerungen möglich sind.

POLITICO: Und die Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, für die Grundgesetzänderung, die holen Sie dann mit der Linkspartei oder mit der AfD im Bundestag?

Stegner: Weder noch. Und man muss natürlich ehrlicherweise auch sagen, wenn wir sagen, wir brauchen die Wehrpflicht, weil ein großer Landkrieg kommt, dann kann man das echt vergessen. Das sollten wir nicht tun. Jetzt schon sagen die Umfragen: Die, die eingezogen werden könnten, sind dagegen. Die, die nicht mehr eingezogen werden müssen, sind dafür. Das ist keine gute Basis.

POLITICO: Gut, aber Sie brauchen, das ist ja die Analyse auch der Nato, 80.000 Soldatinnen und Soldaten mehr in Deutschland. Wie kriegt man das hin?

Stegner: Ganz schnell glaube ich nicht. Man muss den Freiwilligendienst noch mal attraktiver machen. Das ist ja der Versuch, der da geschieht. Aber man muss auch aufhören, herbeizureden, dass wir so viele Leute brauchen, weil der nächste Krieg kommt. Und das ist ja das, wie das teilweise kommuniziert wird. Das gefällt mir überhaupt nicht. Das ist Teil der Militarisierung von Denken und Handeln, der mir überhaupt nicht gefällt. Dass man aus der Gemeinschaft etwas tut, ist was anderes.

POLITICO: Aber die Idee ist doch, wenn man Verteidigung aufbaut, ob das jetzt Truppen oder Waffen sind, dass eben kein Krieg kommt. Da muss man doch von der Gefahr wenigstens mal ausgehen.

Stegner: Aber Sie müssen ja auch wissen, wir rüsten auf wie nichts Gutes. Es gibt Statistiken, die belegen Rekordaufrüstung in der ganzen Welt. Ob das der richtige Weg ist, da habe ich meine großen Zweifel. Gerade in Spannungszeiten war früher die Zeit für Rüstungskontrolle und Abrüstung und nicht für Aufrüstung. Das ist sozusagen die neue Industriepolitik, das ist nicht meine Vorliebe.

POLITICO: Aber da bräuchte man ja zwei Seiten, die dann mit abrüsten. Russland müsste dann auch mit abrüsten, davon ist nichts zu spüren.

Stegner: Davon ist momentan nichts zu spüren, da muss man verhandeln, das dauert eine Weile. Ich kann nur sagen, wir rüsten mit Milliarden auf, um dann Milliarden einzusetzen, um wieder aufzuräumen, um wieder aufzubauen in der Ukraine, in Gaza, in Aleppo, das kann nicht sinnvoll sein.

POLITICO: Aber sehen Sie nicht die Gefahr, dass Russland sich auch noch weiter ausbreitet?

Stegner: Die Gefahr sehe ich schon, wir müssen wehrfähig und verteidigungsfähig sein, aber wir müssen auch reden. Wir müssen diplomatische Anstrengungen unternehmen, um zur Abrüstung zu kommen.

POLITICO: Das will Russland doch nicht.

Stegner: Das wollten sie früher auch nicht und wir haben es auch da nicht mit Demokratien zu tun gehabt, sondern mit Diktaturen. Und ich sage nochmal, das wurde nicht in Friede-Freude-Eierkuchen-Zeiten gemacht, sondern in schwierigen Konfliktzeiten.

POLITICO: Okay, aber wenn Sie das jetzt alles dann doch noch so machen wollen, dann brauchen Sie wahrscheinlich auch noch mehr Geld für Verteidigung. Die 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben, die im Raum stehen, fünf Prozent am Ende, das unterstützen Sie?

Stegner: Fünf Prozent, das ist ja der glatte Wahnsinn, da reden wir über 225 Milliarden Euro jedes Jahr. Wir haben doch keinen Mangel an Waffen in der Welt, wir haben Mangel an Ressourcen, um was zu tun gegen Armut, gegen Bürgerkriege, gegen Umweltzerstörung, all die Probleme.

POLITICO: Es geht ja nicht um Ressourcen, es geht um Luftverteidigung zum Beispiel.

Stegner: Es geht nicht nur um Luftverteidigung, es geht teilweise auch um Dinge, von denen man sagen muss, dass sie Kriege wahrscheinlicher und nicht unwahrscheinlicher machen. Wir müssen wegkommen von dem Wettrüsten. Wir sind Weltmeister im Export von kleinen Waffen. Mit kleiner Waffe werden mehr Menschen umgebracht. Also so einfach ist das nicht. Wir brauchen momentan Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit, da müssen wir mehr tun. Aber diese Wahnsinns-Aufrüstung, man fragt nach dem Wetter und die Antwort lautet Aufrüstung, das ist es meiner Meinung nach nicht.

POLITICO: Also Ihr SPD-Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil liegt falsch mit seinen 3,5 plus 1,5 Prozent für die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, die er auch unterstützt.

Stegner: Das hat er so nicht gesagt. Ich habe gehört, dass Außenminister Johann Wadephul (CDU) das gesagt hat, aber da sind wir noch nicht am Ende der Diskussion.

POLITICO: Sie würden sich wünschen, das kommt nicht?

Stegner: Allerdings.

Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.

Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Das „Berlin Playbook“ finden Sie hier.

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