Der verheerende Angriff der Ukrainer auf die russische Bomberflotte am Sonntag war für die Nachrichten des Staatsfernsehens kaum ein Thema. In einem kurzen Abschnitt der Sendung im „Perwyj Kanal“ am Sonntagabend wurde lediglich eine Mitteilung des Verteidigungsministeriums eingeblendet und vorgelesen.

In drei Regionen seien Drohnenangriffe auf Militärflugplätze abgewehrt worden. In den Regionen Murmansk und Irkutsk sei es zu Bränden bei „Flugtechnik“ gekommen, die gelöscht worden seien. Verletzte habe es nicht gegeben. Nicht einmal eine Minute lang war der Beitrag in den Abendnachrichten. Anschließend zeigte das Staatsfernsehen Videos von russischen Angriffen auf ukrainische Stellungen.

Ansonsten dominierten mutmaßlich ukrainische Sabotageakte gegen Bahnstrecken in den Gebieten Kursk und Brjansk, bei denen mehrere Zivilisten ums Leben kamen, die Nachrichten. Ähnlich verarbeitete die kremltreue „Komsomolskaja Prawda“ die Nachrichtenlage: Über die „Terrorangriffe“ der Ukraine auf die Militärflugplätze berichtete die Zeitung, aber nur kurz.

Vom Standpunkt der russischen Propaganda ist das nachvollziehbar. Denn bei einem Angriff auf militärische Objekte kann sich Russland nicht als Opfer präsentieren. Die Berichte über tote Zivilisten durch die zerstörten Bahnstrecken hingegen lenken ab von der Blamage der eigenen Geheimdienste und der mit Hightech-Waffen ausgerüsteten Flugabwehr.

Nach ukrainischen Angaben wurde am Sonntag rund ein Drittel der gut 120 russischen Langstrecken-Bomber beschädigt oder zerstört – jener Kampfflugzeuge, die vom russischen Luftraum aus regelmäßig ukrainische Städte mit Marschflugkörpern beschießen.

Laut aktuellen Satellitenbildern, die der Militäranalyst Chris Biggers veröffentlicht hat, könnten es die Ukrainer es tatsächlich geschafft haben, mehrere dieser als Teil der sowjetischen nuklearen Triade entwickelten Bomber nicht bloß zu beschädigen, sondern zu zerstören. Neben den Flugzeugen gehören Atomsprengköpfe in land- sowie U-Boot-gestützten Raketen zum nuklearen Abschreckungsarsenal Moskaus.

Die spektakuläre Aktion Kiews im Vorfeld der für Montag geplanten russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul hat also nicht nur gezeigt, dass die Ukraine Russland überall empfindlich treffen kann, sondern auch die Balance der nuklearen Abschreckung erschüttert.

Anders als Panzer und gewöhnliche Kampfflugzeuge können Russlands strategische Bomber nicht ersetzt werden – sie werden seit Jahrzehnten nicht mehr neu produziert. Die Aktion wird wohl einmalig bleiben, denn Moskau wird jetzt neue Sicherheitsvorkehrungen treffen.

Während Staatsmedien und Kreml-Propaganda die Verluste vom Sonntag kleinreden, brechen bei Russlands Kriegsbloggern auf Telegram Frustration und Ratlosigkeit durch. Dieses Milieu ist für harte Kritik der russischen Armee- und teilweise Staatsführung bekannt.

Russland, so die in dem Messengerdienst vorherrschende Meinung, gehe nicht radikal genug gegen die Ukrainer vor, sei schlecht vorbereitet und damit zum Scheitern verurteilt. Häufig wird auf Telegram die offizielle „Kriegserklärung“ an die Ukraine und komplette Militarisierung der russischen Wirtschaft und Gesellschaft gefordert, um den Sieg zu erreichen.

Forderung nach Vergeltung

In mehreren der oft anonym betriebenen Kanäle ist von einem „schwarzen Tag für die Langstrecken-Luftwaffe Russlands“ die Rede. Weder auf dem Flugplatz aufgemalte Flugzeug-Konturen noch alte Reifen auf den Flügeln der geparkten Bomber hätten sie vor dem Angriff gerettet, schreibt „Fighterbomber“.

Andere Kanäle wie „Milinfolive“ schreiben ratlos: „Wir wissen nicht, wie wir das kommentieren sollen“. Andere sprechen von einem „russischen Pearl Harbor“, wieder andere fordern Vergeltungsschläge „gegen alle ukrainischen Städte“.

Dass ausgerechnet Russlands Langstrecken-Bomber betroffen sind, die aus Sorge vor Angriffen mit weitreichenden ukrainischen Waffen immer tiefer ins Landesinnere und damit in vermeintliche Sicherheit verlegt wurden, ist für viele dieser Beobachter ein Schock.

„Selbst zur Zeit des Großen Vaterländischen Krieges hat es so etwas nicht gegeben“, schreibt „Zapiski Veterana“ in Anspielung auf den 2. Weltkrieg. „Der Feind hat Murmansk und Irkutsk erreicht.“ Hier wird eine Kontinuität der Bedrohung aus dem Westen konstruiert, die Ukrainer zu „Nazis“ erklärt. Ein großer Teil der Führung der zuständigen Ministerien solle abgesetzt werden, fordert der Autor.

Der User „Starsche Eddy“ erhebt schwere Vorwürfe gegen die Armeeführung. Solche Angriffe kämen zustande, wenn „irgendjemand“ weiterhin denke, dass „Entfernung im modernen Krieg hinreichende Sicherheit“ garantieren könne.

Am Montag wirkte die weitgehende Funkstille der Staatspropaganda offenbar wie ein Signal an die Kritiker. Plötzlich hieß es auch bei einigen Kriegsbloggern, die Angriffe seien doch nicht so verheerend gewesen wie zunächst behauptet.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

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