Die meisten Stimmen hat Rafał Trzaskowski erhalten – und das Ausland jubelt darüber, zumindest die proeuropäischen Kräfte. Zum Beispiel Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Sie schrieb nach dem ersten Wahlgang der polnischen Präsidentschaftswahlen auf der Plattform X: „Aus Polen und Rumänien kommt Rückenwind für ein demokratisches und solidarisches Europa. Das macht Mut. Das macht Hoffnung.“
In Rumänien hatte zuvor der proeuropäische Kandidat Nicusor Dan in einer Stichwahl gegen den rechtsradikalen George Simion bestanden. In Polen indes kommt die Stichwahl erst noch, am 1. Juni – und ihr Ausgang ist, trotz des Sieges von Trzaskowski in der ersten Runde am 18. Mai, offen. Nach der Bekanntgabe der ersten Nachwahlbefragungen im ersten Wahlgang war denn auch die Stimmung im proeuropäischen Lager gedrückt. Die polnischen Meinungsforschungsinstitute hatten grob daneben gelegen.
Lediglich 31,4 Prozent der Stimmen konnte Trzaskowski holen – deutlich weniger, als vorhergesagt worden war. Der Kandidat der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), der Partei von Regierungschef Donald Tusk, liegt damit nur knapp vor Karol Nawrocki, der auf 29,5 Prozent gekommen ist. Nawrocki wurde von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ins Rennen geschickt. Beide müssen jetzt in der Stichwahl gegeneinander antreten.
Was die Anhänger von Trzaskowski mithin stärker umtreibt, als das mäßige Abschneiden ihres Kandidaten und was von Kommentatoren im Ausland vielfach offenbar nicht gesehen wurde, sind die Ergebnisse der Dritt- und Viertplatzierten: Die Rechtsextremen Slawomir Mentzen und Grzegorz Braun holten 14,8 und 6,3 Prozent. Mentzen, der bei der Wählergruppe der 18- bis 29-Jährigen am besten abschneiden konnte, hat damit ein Drittel der Stimmen mehr erhalten, als von vielen erwartet wurde, Braun, ein glühender Antisemit etwa das Dreifache.
Es steht viel auf dem Spiel
Wenn nun rechtsextreme Wähler geschlossen im zweiten Wahlgang für Nawrocki stimmen, wird der PiS-Kandidat – ausgehend von den Ergebnissen der ersten Runde – neuer Präsident Polens. Allerdings ist mit Bewegung zu rechnen; unklar ist auch, wie gut Trzaskowski sein Wählermilieu mobilisieren kann und wie die Anhänger die linken Kandidaten Adrian Zandberg und Magdalena Biejat stimmen werden.
Für Polen und Europa steht viel auf dem Spiel. Ein Präsident Nawrocki würde wohl ähnlich handeln, wie Amtsinhaber Andrzej Duda, der nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten durfte. Duda sabotiert seit der Regierungsübernahme von Tusk im Dezember 2023 dessen Arbeit nach Kräften. Gegen etliche Gesetzesinitiativen legte er sein Veto ein; Tusks Reformen für eine „Redemokratisierung“ Polens nach dem achtjährigen Staatsumbau der PiS sind somit nicht umsetzbar.
Der Präsident kann Gesetze zum Überprüfen an das Verfassungsgericht delegieren, das immer noch mit PiS-Loyalisten besetzt ist. Duda, der selbst den rechtswidrigen Justizumbau der PiS ermöglicht hat, agierte so parteipolitisch und nicht verfassungskonform.
Für den Fall, dass dieser innenpolitische Stillstand sich nach einer Niederlage von Trzaskowski fortsetzt, erwarten Beobachter ein Auseinanderbrechen der Regierung und vorgezogene Neuwahlen. Die PiS könnte an die Regierung zurückkehren – womöglich in einer Koalition mit der rechtsextremen Konfederacja. Als europapolitischer Partner für Deutschland und Frankreich würde Polen in dieser Lage ausfallen.
Mit einem PiS-Präsidenten und einer PiS-Regierung würde das Land vermutlich, wie in den Jahren 2015 bis 2023, in einen Dauerkonflikt mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geraten. Antieuropäische Agitation und auch deutschlandfeindliche Tiraden würden Polens Außenpolitik prägen. Es wäre eine dramatische Entwicklung für Europa.
Polen ist der wirtschaftliche Wachstumsmotor der EU. Das Land gibt mehr als vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus und steht damit an der Spitze der Nato, als größtes Land an der Ostflanke des Bündnisses und wichtiger Unterstützer der Ukraine hat Polen sich sicherheitspolitisch unerlässlich gemacht.
Eine große Unbekannte gibt es noch: Niemand kann verlässlich vorhersagen, wie sich die vielen von polnischen Medien aufgedeckten Skandale um Nawrocki auf das Votum der PiS-Wählerschaft auswirken.
Dass Nawrocki mutmaßlich einen hilfsbedürftigen Rentner um dessen Wohnung betrogen hat und auch Kontakte in die kriminelle Halbwelt Danzigs besitzt, hatte bislang keinen Einfluss auf seine Anhänger. Aktuell beschäftigt ein weiterer Fall die Öffentlichkeit: Nawrocki soll in der Kurstadt Sopot an der Ostsee in einem Luxushotel Gästen Prostituierte „zugeführt“ haben.
Gerade ältere PiS-Wähler könnte diese jüngste Enthüllung zum Wechsel bewegen. Falls nicht, muss sich Europa möglicherweise auf einen polnischen Staatschef mit einer mehr als zweifelhaften Vergangenheit einstellen.
Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.
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