Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang hat nicht mehr viel zu verlieren. Sie kann reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Das tut sie am Abend. Da diskutiert sie bei Sandra Maischberger mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei über die Sozial- und Energiepolitik der Regierung. Damit einverstanden ist sie natürlich nicht.

Bundeskanzler Friedrich Merz ist wenige Tage im Amt. Vor allem außenpolitisch hat er sich hervorgetan, wenn auch nicht so erfolgreich, wie er es sich gewünscht hat. Viel wichtiger aber ist die Umsetzung der innenpolitischen Ziele von Schwarz-Rot, vor allem in der Arbeits- und der Energiepolitik. Über die nächsten Projekte der Regierung diskutieren am Abend Kanzleramtsminister Thorsten Frei von der CDU und die ehemalige Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang.

Beide haben am vergangenen Samstag gefeiert, denn beide kommen aus Baden-Württemberg. Frei hat sich über den Sieg von VFB Stuttgart im DFB-Pokalfinale gefreut, Lang eher über die Nominierung von Cem Özdemir als Spitzenkandidat der Grünen in Baden-Württemberg. Feiern, so könnte man sagen, ist ein Teil der Work-Life-Balance, auf die auch Politiker ein Recht haben. Dabei wünscht sich gerade die Union ein bisschen weniger davon. Vor allem bei einer Personengruppe, wie CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Sonntag bei Caren Miosga festgestellt hat: Rentner. Die arbeiten zu wenig, so Linnemann. Thorsten Frei versucht, die Bemerkung bei Maischberger geradezurücken. Die Arbeitszeit pro Kopf und Jahr sei in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich heruntergegangen. Also müsse man Anreize dafür schaffen, dass Menschen freiwillig mehr arbeiten. Auch Rentner. Deswegen wolle die Union die Aktivrente einführen, und Linnemann habe das als Beispiel genannt.

"Bei Carsten Linnemann mache ich mir Sorgen, dass er morgen sagt, die Kinder müssen mehr arbeiten", kontert Ricarda Lang, die offenbar gar nicht mit den Ausführungen des CDU-Mannes einverstanden ist. "Wenn man das Konzept Rente nicht verstanden hat, sollte man besser gar nicht darüber reden", fügt sie hinzu. Sie beklagt: Friedrich Merz und die Regierung redeten das Land faul. Deutschland sei trauriger Spitzenreiter bei unbezahlten Überstunden: 683 Millionen im letzten Jahr. Viele Frauen würden gerne mehr arbeiten, sagt Lang. "Was man tun sollte bei der Bundesregierung wäre, die Menschen zu unterstützen mit mehr Kita-Plätzen, mit Unterstützung für pflegende Angehörige, mit Mieten, mit denen man auch von seinem Gehalt leben kann. Friedrich Merz macht das Gegenteil. Er sagt den Leuten, sie wären faul, und das finde ich einen ziemlich faulen Job."

Mit dem Steuersystem geht's los

Menschen seien nicht faul, sagt Frei. Deswegen wolle die Regierung Anreize für mehr Arbeit schaffen. So wolle Schwarz-Rot die Überstundenzuschläge steuerfrei machen. Dazu müsse es auch einen höheren Mindestlohn geben, fordert Lang. Gleichzeitig müsse die Tarifbindung nach oben gebracht werden.

Frei antwortet mit einer Aussage, die mindestens angreifbar ist: "Jeder, der Vollzeit arbeitet, hat so viel Geld, dass er davon leben kann." Es gebe nicht nur Menschen, die einen zweiten Job hätten, weil sie sonst nicht über die Runden kämen, sondern weil sie gerne mehr arbeiten, oder weil sie sich einen weiteren Urlaub oder ein neues Auto gönnen wollten. "Jeder entscheidet, was er in seinem Leben machen möchte. Und diejenigen, die gerne mehr machen möchten, die sollen eben auch mehr davon haben. Und darum muss man ein gerechtes Steuersystem haben. Damit geht's los."

Lang widerlegt die Aussagen von Frei und erinnert an die 830.000 Aufstocker, die neben ihrer Arbeit noch soziale Unterstützung bekommen müssen. Die hat Frei wohl vergessen. Und irgendwie hat man den Eindruck, dass ihm das sogar ein bisschen peinlich ist.

Energiepolitik über den Preis

Maischberger switcht schnell zum nächsten Thema: Die Energiepolitik. Das einzige Instrument zum Klimaschutz, auf das die Bundesregierung setze, sei der CO₂-Preis, kritisiert Ricarda Lang. Der steigt aber 2027. "Ich halte es für sozial ungerecht, eine Klimapolitik allein über den Preis zu machen, denn er müsste so hoch sein, dass es sozial gar nicht mehr aufgefangen werden kann, weil es sonst zu einer sozialen Unwucht führt und dann den Klimaschutz gefährdet. Wenn 2027 der CO₂-Preis europaweit auch auf die Bereiche Wärme, also Gebäude, und Verkehr angewendet wird, dann werden die Union und Friedrich Merz die ersten sein, die sich hinstellen und sagen: Das müssen wir verschieben, das müssen wir aufhalten, das müssen wir deckeln. Darauf wette ich 20 Kästen Bier. Da verarschen Sie die Leute."

Thorsten Frei möchte nicht wetten. Aber die Politik seiner Partei verteidigt er. Die Union wolle den CO₂-Ausstoß reduzieren. Darum müsse er auch mit einem Preis belegt sein. "Aber die Menschen müssen dann selbst entscheiden, wie sie den CO₂-Ausstoß reduzieren. Das kann die Heizung sein, das kann aber bei einem älteren Haus auch die Isolierung der Gebäudehülle sein. Aber das sollen die Hauseigentümer entscheiden. Wir wollen die Steuerungswirkung über den Preis haben, aber wir möchten die Besteuerung des Preises reduzieren." Die Bundesregierung wolle runter mit der Stromsteuer und den Netzentgelten. So wolle sie die Ausgaben für die Bürger senken.

Erstaunliche Bekenntnisse

Am Ende der Diskussion gibt es Fragen, die man theoretisch mit "ja" oder "nein" beantworten könnte. Aber man ist Politiker, und da fällt so etwas oft schwer. Vor allem, als es um die Chefin der Grünen Jugend geht. Jette Nietzard hatte sich in sozialen Medien mit einem Pulli gezeigt, auf dem zu lesen stand: "All Cops are Bastards." Ob sie deswegen zurücktreten solle, fragt Maischberger. Lang antwortet klar: "Inhaltlich halte ich das für totalen Schwachsinn. Dass ich in den letzten Jahren überhaupt arbeiten konnte, lag daran, dass ich vom BKA geschützt wurde." Sie lobt die Arbeit der Polizei: Polizisten schützten Veranstaltungen wie den CSD, deckten rechte Netzwerke auf, häuften bei ihrer Arbeit Millionen von Überstunden an. "Es gibt dort Probleme, aber denen wird man auf keinen Fall mit Pauschalisierungen oder gar Beleidigungen beikommen." Sie beklagt jedoch die "Empörungsdebatte", die über dieses Thema geführt werde. Damit hatten jedoch zwei Politiker der Grünen begonnen.

Frei ist bei diesem Thema gelassen. "Ich bin ein Polizistensohn, ich bin nicht objektiv", sagt er. Zu einem Rücktritt der Politikerin äußert er sich nicht. Was die Zuschauer erlebt haben, war eine interessante und lockere Diskussion, und auch das Publikum im Studio applaudierte häufig. Mehr kann man sich kaum wünschen.

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