Hunderttausenden Menschen im Gazastreifen drohen Hunger und tödliche Krankheiten - noch immer erreichen zu wenige Lastwagen mit Hilfslieferungen das Gebiet. Die Bundesregierung will hinter den Kulissen Besserungen erreichen. Doch die Strategie kommt an ihr Ende.

Die Lage im Gazastreifen ist brutal. Das Gebiet gleicht einer Trümmerwüste, die Menschen leben in Zelten, Zehntausende Menschen sind bei den israelischen Angriffen ums Leben gekommen. Das alles wäre nicht passiert, wenn die menschenverachtende Hamas nicht mehr als 1100 Israelis getötet hätte, darunter friedlich feiernde Israelis auf einem Festival und ebenso friedlich lebende Menschen in einem Kibbuz. 250 Geiseln entführte die Hamas zudem.

Es ist immer schwierig, Leid gegeneinander aufzuwiegen. Aber wenn es um Verteidigung ging, müsste dies langsam erreicht sein. Wenn es um eine "entschlossene Reaktion" ging, darum, ein Zeichen zu setzen - das Zeichen hat die Regierung in Tel Aviv gesetzt. So ein Zeichen musste Israel setzen. Das Land ist von Feinden umzingelt und darf keine Schwäche zeigen.

Wenn es darum geht, die Hamas komplett zu zerstören, ist es höchst fraglich, ob das militärisch funktioniert. Die führenden Köpfe sind längst tot. Doch die Terrororganisation bekommt immer neuen Zulauf. Wie Matthias Wasinger von der Theresien-Akademie in Wien sagte, wurden 20.000 Hamas-Kämpfer getötet, 18.000 schlossen sich der Terrorgruppe an. Es ist kein Wunder und völlig erwartbar, dass die israelischen Angriffe junge Männer und Frauen im Gazastreifen radikalisieren. Erst recht wird das durch eindeutige Völkerrechtsverletzungen passieren, wie Hilfslieferungen zurückzuhalten.

Das Argument der israelischen Regierung, die Hamas greife die Lieferungen ab, ist hohl. Mag sein, dass das vorkommt. Aber darf man zwei Millionen Bewohner deswegen aushungern? Selbst wenn die Versorgungslage nicht ganz so dramatisch sein sollte, wie manche Hilfsorganisationen sie darstellen - außerhalb des Gazastreifens warten rund 3000 Lastwagen, die nur tröpfchenweise hereingelassen werden.

Israel hat ein Recht, sich zu verteidigen

Die Frage stellt sich auch bei den Angriffen. Es ist perfide, dass die Hamas Stellungen in oder unter Schulen und Krankenhäusern errichtet hat. Israel soll als grausam erscheinen - und genau das passiert gerade. Die menschenverachtende Taktik geht auf. Anfangs hieß es von der Regierung Netanjahu noch, es gebe Warnungen, damit Zivilisten die Gebäude verlassen können. Aber die völlig zerbombten Landschaften im Gazastreifen sprechen mittlerweile eine andere Sprache.

Natürlich hat Israel ein Recht, sich selbst zu verteidigen. Das Land wird noch immer aus dem Gazastreifen beschossen, auch aus Syrien und dem Iran droht Gefahr. Nur ist es keinesfalls eindeutig, dass die weitere Zerstörung des Gazastreifens die Sicherheit Israels verbessert. Auch viele Israelis wollen ein Ende der Kampfhandlungen und vor allem eine Befreiung der Geiseln. Auch nach anderthalb Jahren Bombardierungen werden noch immer 59 Menschen vermisst, nur 24 von ihnen sollen noch am Leben sein. Die allermeisten Freilassungen gab es im Rahmen von Waffenruhe. Das Vorgehen Netanjahus ist nicht alternativlos.

In dieser Situation bleibt Deutschland öffentlich nahezu stumm. Zwar äußerte Kanzler Friedrich Merz Kritik und Empörung, forderte Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Aber dabei bleibt es dann. Kanada, Großbritannien und Frankreich haben Israel öffentlich scharf kritisiert, von einer völlig unverhältnismäßigen Eskalation gesprochen und Konsequenzen angedroht.

Was bedeutet "Staatsräson"?

Auch 80 Jahre nach dem Holocaust braucht Israel keine Belehrungen aus Berlin. Die Sicherheit Israels ist deutsche "Staatsräson". Aber bedeutet das, automatisch alles gut und richtig zu finden, was eine israelische Regierung tut? Auch eine Regierung, die in Teilen aus rechtsradikalen Parteien besteht? Dessen Regierungschef vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird?

Gerade erst sagte Außenminister Johann Wadephul, er spreche die Themen lieber intern an, hinter verschlossenen Türen. Das kann der bessere Weg sein. Aber seine erste Reise nach Israel, ebenso Telefonate von Merz und eine Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier brachten keine Änderung der Lage. Die Dinge intern anzusprechen, hat mittlerweile etwas von Wegducken.

Deutschland muss nicht an vorderster Front der Kritiker stehen, Deutschland muss immer in besonderem Maße das Sicherheitsinteresse Israels mitdenken. Aber hinter den Kulissen zu sprechen, diese Strategie stößt an Grenzen. Es ist jetzt geboten, sich auch öffentlich stärker zu positionieren. Bundeskanzler Merz sagte, er wisse nicht mehr, was Israel mit seinem Vorgehen bezwecke. Das waren deutliche Worte. Aber mehr eben auch nicht. Netanjahu reagiert auf öffentlichen Druck, und offensichtlich auf nichts anderes. Hilfslieferungen in den Gazastreifen ließ er auch zu, um eine Hungersnot zu verhindern, allerdings aus "diplomatischen Gründen". Netanjahu handelte, weil er befürchtete, Verbündete, allen voran die USA, könnten wegbrechen. Es ist jetzt die Zeit, diesen Druck auch aus Deutschland heraus zu verstärken.

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