Vor fünf Jahren tötet ein weißer Polizist den Schwarzen George Floyd. Seine Ermordung bringt eine beispiellose Protestbewegung ins Rollen. Viele hoffen auf Veränderung. Heute ist die Bewegung zerstreut. Ihre Errungenschaften stehen unter Beschuss.
Die 16. Straße Nordwest, die vom Weißen Haus direkt ins Zentrum Washingtons führt, bekommt Mitte März Besuch von Bauarbeitern. Mit Baggern, Spitzhacken und Presslufthämmern reißen sie das Pflaster auf, um einen Schriftzug zu beseitigen, der dort fünf Jahre lang in riesigen, knallgelben Lettern stand: "Black Lives Matter".
Im Sommer 2020 hatte die demokratische Bürgermeisterin der US-Hauptstadt, Muriel Bowser, den Ort in "Black Lives Matter Platz" umbenennen lassen, zum Ärger der Republikaner. Zur Eröffnung sagte damals John Lewis, Demokrat und Ikone der Bürgerrechtsbewegung: "Die Menschen in Washington D.C. und auf der ganzen Welt senden eine starke Botschaft, dass wir es schaffen werden."
Zu jener Zeit gingen Millionen Menschen erst in den USA und dann weltweit auf die Straße, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu demonstrieren. Sie einte die Wut über den Tod des Schwarzen George Floyd. Neun Minuten und 29 Sekunden kniete ein weißer Polizist auf Floyds Hals, bis der starb. Was darauf folgte, war die größte Massenbewegung in der Geschichte der USA.
Andere Prioritäten
Fünf Jahre später lässt Bürgermeisterin Bowser die Umbenennung rückabwickeln. Der symbolträchtige Schriftzug wurde getilgt. Mit der Entscheidung beugt sie sich dem Druck der Republikaner im Kongress, die gedroht hatten, der wirtschaftlich angeschlagenen Hauptstadt Fördergelder zu streichen. Die Prioritäten lägen mittlerweile woanders, sagt Bowser.
Denn die Prioritäten setzt US-Präsident Donald Trump. Für Antirassismus und Polizeikritik ist da kein Platz. Zu den Wörtern, die seine Regierung aus US-Behörden verbannen will, gehören "Diskriminierung", "Diversität", "Rasse", "Rassismus" und sogar "Schwarz". "Weiß" steht nicht auf der Liste.
Wie also steht es um die Hoffnungen auf eine gleichberechtigte Zukunft, die der inzwischen verstorbene Bürgerrechtler Lewis auf dem "Black Lives Matter"-Platz beschrieben hatte? "Sie haben sich nicht nur nicht erfüllt, sondern sie sind auf stärkeren Gegenwind gestoßen, als sich viele von uns je hätten vorstellen können", schreibt die Juristin und Aktivistin Kimberlé Crenshaw im US-Magazin "Time".
Dabei schien es damals, im Corona-Sommer 2020, als sei ein gesellschaftlicher Kipppunkt erreicht. "Black Lives Matter" organisierte schon seit einigen Jahren Demonstrationen gegen rassistische Polizeigewalt. Als sich das Handyvideo von Floyds Todeskampf in den sozialen Medien rasend schnell verbreitete, verlieh das der Bewegung eine bis dato unbekannte Dynamik. Floyds Ausruf "I can't breathe" - Ich kann nicht atmen - wurde zum internationalen Symbol.
"Black Lives Matter" kam im Mainstream an
Anders als zuvor schlossen sich viele Menschen aus der weißen Mehrheitsbevölkerung den Demonstrationen an. Schätzungen zufolge waren allein in den USA zwischen 15 und 26 Millionen Menschen auf der Straße. Prominente bekundeten ihre Unterstützung, Großkonzerne sprangen auf den Zug auf und solidarisierten sich. "Black Lives Matter" war im Mainstream angekommen und die Politik stand unter Zugzwang.
Nicht immer liefen die Kundgebungen gewaltfrei ab. Es gab Ausschreitungen und Plünderungen, Denkmäler wurden von Sockeln gerissen. In Minneapolis brannte eine Polizeiwache ab. Präsident Donald Trump, damals noch in seiner ersten Amtszeit, drängte Gouverneure zum Einsatz der Nationalgarde und drohte mit dem Militär.
Trump verurteilte zwar Floyds Tod, sprach aber vor allem über die Gewalt bei den Protesten statt über Polizeigewalt. In einem Tweet bezeichnete er Demonstranten als Verbrecher und schrieb: "Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen." Später sagte er, man habe ihn missverstanden. Zugleich bildeten sich Gegenbewegungen von rechts wie "All Lives Matter" oder "Blue Lives Matter."
Neue Gesetze und Polizeireformen
Dennoch folgten auf den Druck der Straße politische Reformen. Laut dem Brennan Center for Justice änderten seit 2020 mindestens 30 Bundesstaaten Gesetze, um missbräuchliches Verhalten von Polizisten einzudämmen. Floyds Heimatbundesstaat Minnesota beschloss Gesetze, die Gewalt durch Polizeibeamte einschränken, ihre Ausbildung verbessern und diskriminierendes Verhalten bekämpfen sollten.
St. Louis in Missouri, das zu dieser Zeit eine der kriminellsten Städte der USA war, führte 2021 unter der schwarzen Bürgermeisterin Tishaura Jones ein Modellprojekt ein. Statt weiter auf das "Verhaften und Einsperren"-Konzept zu setzen, förderte die Stadt soziale Programme in kriminalitätsbelasteten Vierteln. Die Zahl der Gewaltdelikte ging seither kontinuierlich zurück.
Als umfassendste Folge der Proteste brachte das Weiße Haus ein nach Floyd benanntes Bundesgesetz auf den Weg. Es sah unter anderem ein Verbot von Würgegriffen und "Racial Profiling" sowie weitere Regularien für Polizeibeamte vor. Allerdings scheiterte es im Senat am Widerstand der Republikaner. Trumps Nachfolger Joe Biden unterzeichnete 2022 ein Dekret, das dem Gesetz in vielen Aspekten entsprach. Im Januar 2025 hob der wiedergewählte Präsident Trump die Verordnung mit einem eigenen Dekret zum Großteil wieder auf.
"Militarisierung" der Polizei
Trump strebt eine "Militarisierung" mancher Polizeieinheiten an - durch mehr Geld und mehr Befugnisse. Ein Portal, auf dem Bürgerinnen und Bürger Fehlverhalten von Polizisten melden konnten, ließ er abschaffen. Eine weitere Verordnung des Präsidenten soll zudem Polizisten vor Strafverfolgung schützen. Die "Washington Post" befürchtet, dass ihre Rechenschaftspflicht so aufgeweicht wird, dass sogar Vergewaltigungen durch Polizisten nicht mehr angemessen verfolgt werden könnten.
Dabei ist Polizeigewalt nach wie vor ein Problem in den USA. Das Projekt "Mapping Police Violence" dokumentiert: Im vergangenen Jahr sind mehr als 1300 Menschen durch Polizeigewalt gestorben - so viele wie seit zehn Jahren nicht. Unter ihnen waren demnach überproportional viele Schwarze.
Floyds Mörder Derek Chauvin wurde im Juni 2021 wegen Mordes zweiten Grades zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. In einem zweiten Verfahren wegen der Verletzung von Bürgerrechten kamen weitere 21 Jahre hinzu. Aus dem Trump-Lager wird allerdings zunehmend gefordert, den Ex-Polizisten zu begnadigen. Trumps Berater Elon Musk teilte im März eine solche Forderung auf X und schrieb dazu: Man sollte darüber nachdenken.
"Fünf Jahre nach dem Tod von George Floyd befinden wir uns vielleicht in einer Phase der Gegenreaktion", sagte der Generalstaatsanwalt von Minnesota, Keith Ellison, der "New York Times". "Die Bundesregierung hat die Idee aufgegeben, die Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung zu verbessern - sie hat die Idee aufgegeben, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen vor dem Gesetz gleich fühlen und vor dem Gesetz gleich behandelt werden."
Weniger Zuspruch in der Bevölkerung
Nicht nur in der Politik zeigt sich ein Umschwung, auch in der amerikanischen Gesellschaft ist die Zustimmung für "Black Lives Matter" zurückgegangen. Laut einer aktuellen Umfrage des "Pew Research Center" unterstützen 52 Prozent der US-Amerikaner die Bewegung. Im Juni 2020 waren es noch 67 Prozent. Heute sagen rund 72 Prozent der Befragten, dass Floyds Tod nicht zu Veränderungen geführt hat, die das Leben schwarzer Menschen verbessern konnten.
Dem Historiker Simon Wendt zufolge kam es nach den ersten gewaltsamen Protesten zu einem allmählichen Stimmungswandel in der US-Öffentlichkeit. "Zusammen mit den massiven Anfeindungen der Trump-Administration sowie rechter Gruppen hat das die Unterstützung für die Bewegung geschwächt", sagte er der Zeitung "Das Parlament".
Interner Streit über die Verwendung von Spenden habe die Bewegung zersplittert. "Auf lokaler Ebene sind viele Ortsgruppen aber noch aktiv", so Wendt. Trotzdem habe es "Black Lives Matter" geschafft, das Bewusstsein für strukturellen Rassismus zu stärken.
Was wird aus dem "George Floyd Platz"?
Die Kreuzung in Minneapolis, an der Floyd getötet wurde, ist heute ein Mahnmal. In den Tagen nach seiner Ermordung hatten Anwohner sie abgeriegelt, es war die Keimzelle der Proteste. Fünf Jahre später heißt der Ort "George Floyd Platz". Der noch immer abgesperrte Bürgersteig ist voll mit Blumen, Stofftieren, T-Shirts und Fotos. Eine erhobene Faust steht als Statue auf dem Kreisverkehr daneben.
Nach dem Willen der Stadt Minneapolis soll der provisorische Gedenkort einer neuen Gedenkstätte oder einem Gemeindezentrum weichen. Zu diesem Zweck kaufte die Stadt das Grundstück gegenüber, auf der eine brachliegende Tankstelle steht, wie die "New York Times" schreibt. Noch aber ist nichts beschlossen: Einen Plan des Bürgermeisters für breitere Gehwege und ein neu belebtes Geschäftsviertel lehnte der Stadtrat ab. Ebenfalls ungeklärt ist, ob der "George Floyd Platz" für den Verkehr geöffnet bleibt oder zur Fußgängerzone wird.
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